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Bericht aus der Zeitschrift des Trans-Ocean (Nr.87 Jän 2000)

 

Wie sowas passieren kann

Schreiben eines Kapitäns an seine Reederei

 

Sehr geehrte Herren, mit Bedauern und in Eile schreibe ich Ihnen diesen Brief. Mit Bedauern deswegen, weil ein kleines Mißverständnis zu den im folgenden aufgeführten Umständen führte, und in Eile, um sicherzustellen, dass Sie diesen Bericht noch vor dem Zeitpunkt erhalten, an dem Sie sich Ihre eigene vorgefaßte Meinung über die Angelegenheit aus den Berichten der Weltpresse, von der ich sicher bin, dass sie dazu neigt, die Affäre zu überdramatisieren, bilden werden.

Wir hatten gerade eben den Lotsen aufgenommen, und der nautische Assistent war gerade vom Austauschen der Flagge G durch die Flagge H zurückgekehrt. Es war seine erste Reise, und er hatte daher Schwierigkeiten, die Flagge G aufzurollen.

Ich entschloß mich daher, ihm zu zeigen, wie man das macht. Und als ich zum letzen Teil gekommen war, sagte ich ihm: „Laß fallen“. Der Bursche, obwohl willig, ist nicht allzu intelligent, und es wurde daher nötig, dass ich meine Anweisung in einem schärferen Ton wiederholte.

In diesem Moment erschien der Erste Offizier aus dem Kartenraum, in dem er des Schiffes Durchschnittsgeschwindigkeit errechnet hatte und dachte, dass sich diese Anweisung auf die Anker bezog, und wiederholte dem dritten Offizier auf der Back gegenüber „laß fallen". Der Backbordanker, der klar gemacht worden war, aber noch nicht aus der Klüse gefiert war, wurde prompt fallengelassen. Die Wirkung des fallenden Ankers aus der Klüse, während sich das Schiff noch mit voller Hafengeschwindigkeit bewegte, war'zu groß für die Ankerspillbremse, und die gesamte Länge der Backbordankerkette wurde komplett herausgerissen. Ich befürchte, dass der Schaden am Kettenkasten nicht unbeträchtlich sein könnte. Der Bremseffekt des Backbordankers ließ das Schiff in diese Richtung ausscheren, geradewegs in Richtung der Klappbrücke, die als Seitenbegrenzung des Flusses, auf dem wir uns vorwärts bewegten, anzusehen ist.

Der Brückenwärter zeigte eine große Geistesgegenwart, indem er augenblicklich die Brücke für mein Schiff öffnete. Unglücklicherweise dachte er allerdings nicht daran, den Straßenverkehr vorher anzuhalten. Das Resultat war, dass die Brücke teilweise geöffnet war und ein Volkswagen, zwei Fahrradfahrer und ein Viehtransporter auf dem Vorschiff landeten.

Meine Schiffsbesatzung sammelt im Augenblick den Inhalt des letztgenannten zusammen, von dem ich, nach dem Geräusch zu schließen, sagen würde, dass es Schweine waren. In seinem Bemühen, die Vorwärtsbewegung des Schiffes aufzuhalten, ließ der 3. Offizier den Steuerbordanker fallen. Viel zu spät, um noch wirksam zu werden, da dieser direkt auf den Kontrollraum des Brückenwärters fiel.

Nachdem der Backbordanker gefallen war und das Schiff andrehte, legte ich den Maschinentelegraphen zweimal auf volle Kraft zurück. Persönlich rief ich den Maschinenraum an und gab die Anweisung auf volle Rückwärtsumdrehungen. Ich wurde von dort darüber informiert, dass die Wassertemperatur 11,5 Grad betrüge, und gleichzeitig gefragt, ob abends ein Film gezeigt werden würde. Meine Antwort hierauf würde kein konstruktiver Beitrag zu diesem Bericht sein.

Bis jetzt habe ich meinen Bericht auf die Aktivitäten auf dem Vorschiff meines Schiffes beschränkt. Achtern hatte man seine eigenen Probleme. In dem Augenblick, als der Backbordanker fallengelassen wurde, beaufsichtigte der 2. Offizier das Festmachen des Achterschleppers, auf den gerade die Festmacherleine gefiert wurde.

Der plötzliche Bremseffekt des Backbordankers ließ den Schlepper unter das Heck meines Schiffes laufen, gerade in dem Augenblick, als die Schraube auf meine Anweisung „volle Kraft zurück" reagierte. Das blitzartige Belegen der Schleppleine durch den 2. Offizier verzögerte den Untergang des Schleppers für einige Minuten, die eine sichere Abbergung der Mannschaft des Schleppers ermöglichten.

Es ist eigenartig, aber im selben Augenblick, als der Backbordanker fallengelassen wurde, gab es an Land einen Kurzschluß. Die Tatsache, dass wir gerade über ein Kabelgebiet fuhren, läßt mich vermuten, dass wir irgend etwas auf dem Flußbett berührt haben könnten. Glücklicherweise waren die Hochspannungskabel, die durch den Vormast heruntergeholt wurden, nicht aktiv. Möglicherweise sind sie gerade durch das Unterwasserkabel ersetzt worden. Da es an Land stockdunkel war, ist es mir unmöglich, Ihnen zu sagen, wohin der Hochspannungsmast gefallen ist.

Die Reaktionen und das Betragen von Fremden in den Augenblicken von kleinen Krisen erstaunen mich doch immer wieder. Der Lotse hat sich z.B. in die Ecke meiner Tageskabine verkrochen, summt gelegentlich vor sich hin und heult, nachdem er eine Flasche Gin geleert hat in einer Zeit, die es wert wäre, in das Guiness-Buch der Rekorde eingetragen zu werden. Der Schlepperkapitän reagierte auf der anderen Seite gewalttätig und mußte vom Steward mit Macht zurückgehalten werden, indem er ihm Handschellen anlegte und in das Schiffshospital beförderte, wo er mir und meinem Schiff die unmöglichsten Dinge androhte.

Ich füge diesem Schreiben die Namen und Adressen der Fahrer und der Versicherungsgesellschaften der Fahrzeuge auf meinem Vorschiff bei, welche der 3. Offizier eingesammelt hat, nachdem ersieh schnellstens von der Back entfernt hatte.

Diese Unterlagen werden es Ihnen ermöglichen, den Schaden, den sie an den Relingstützen und der Luke eins anrichteten, zu reklamieren.

Ich beende nun diesen vorläufigen Bericht, da es mir schwer fällt, mich beim Heulen der Sirenen und den Blaulichtern der Polizeiwagen zu konzentrieren.

Es ist wirklich traurig, wenn man bedenkt, dass, hätte der nautische Offiziersassistent bemerkt, dass man nach Anbruch der Dunkelheit keine Lotsenflagge mehr zu setzen braucht, nichts von allem passiert wäre.

Dem wöchentlichen Rechenschaftsbericht werde ich die Verletztenzahl von T/750101 bis T/750199 ausführlich beifügen.

 Mit Ergebenheit, Master

 Übersetzung aus dem Englischen, zur Verfügung gestellt von Sk. Kapitän K.-H. Gräber.

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